Chess960
Chess960 oder Schach-960, auch Fischer-Random-Chess oder Fischerschach genannt, ist eine von Schachgroßmeister Bobby Fischer entwickelte Schachvariante mit 960 möglichen unterschiedlichen Ausgangsstellungen. Genaugenommen ist es eine Verallgemeinerung des Schachspiels durch eine fast beliebige Anordnung der bekannten Schachfiguren auf der Grundreihe jeder Partei.
Zum ersten Mal vorgestellt wurde diese Variante am 19. Juni 1996 in Buenos Aires. Fischers Ziel war es, eine Schachvariante zu entwickeln, die mehr Gewicht auf die Kreativität und das Talent des Spielers legte, als auf das Auswendiglernen und Analysieren von Eröffnungen. Dies sollte durch zufällige Eröffnungsstellungen erreicht werden, die ein Auswendiglernen von Eröffnungszügen wenig hilfreich erscheinen lassen.
Die Regeln für Chess960 wurden 2009 vom Weltschachverband FIDE als Bestandteil der Schachregeln in ihr Regelwerk ("Laws of Chess", Anhang F) aufgenommen. Im Jahre 2019 fand erstmals eine offizielle Weltmeisterschaft statt.
Eröffnungsstellungen
Die Eröffnungsstellungen im Chess960 müssen die folgenden Regeln erfüllen:
- Die weißen Bauern stehen auf ihren üblichen Positionen.
- Alle übrigen weißen Figuren stehen in der ersten Reihe.
- Der weiße König steht zwischen den weißen Türmen.
- Ein weißer Läufer steht auf einem weißen, der andere auf einem schwarzen Feld.
- Die schwarzen Figuren werden entsprechend den weißen spiegelsymmetrisch platziert. Steht zum Beispiel der weiße König auf f1, so wird der schwarze König auf f8 gestellt.
Die Anzahl von 960 möglichen Startpositionen ergibt sich aus kombinatorischen Überlegungen: Für jeden Läufer gibt es vier mögliche Felder; nach deren Positionierung bleiben für die Dame noch sechs, dann für die beiden Springer fünf bzw. vier Möglichkeiten. Der Rest ist zwingend, da der König zwischen den beiden nicht unterscheidbaren Türmen steht. Bei Unterscheidbarkeit der Springer ergäben sich somit 4x4x6x5x4 = 1920 mögliche Eröffnungspositionen. Da aber auch die Springer nicht unterscheidbar sind, ist diese Zahl noch zu halbieren, was dann zu den 960 Variationen führt.
Zwar sind immer zwei verschiedene Stellungen zueinander links-rechts-symmetrisch, so dass die Zahl nochmals zu halbieren wäre, aber diese Symmetrie wird durch die asymmetrischen Rochaderegeln aufgehoben. Somit sind alle 960 Grundstellungen effektiv verschieden.
Ist die Eröffnungsstellung erst einmal gefunden, wird nach den üblichen Schachregeln gespielt, abgesehen von den verallgemeinerten Rochaderegeln.
Rochaden
Rochaderegeln
Wie im normalen Schach ist es auch im Chess960 möglich zu rochieren. Da König und Türme anders als im normalen Schach aufgestellt sein können, muss die Rochade neu definiert werden. Wie beim normalen Schach kann man entweder mit dem linken (aus Sicht von Weiß) Turm rochieren, was hier c-Rochade genannt wird, oder mit dem rechten (g-Rochade):
- c-Rochade: mit dem Turm, dessen Startposition näher an der a-Linie ist; der König gelangt auf die c-Linie, der Turm auf die d-Linie
- g-Rochade: mit dem Turm, dessen Startposition näher an der h-Linie ist; der König gelangt auf die g-Linie, der Turm auf die f-Linie
Auch im Schach960 dürfen König und Turm bei der Rochade keine Figuren überspringen. Wenn man sich die beteiligten Figuren wegdenkt, müssen sowohl die jeweils zu überquerenden Felder als auch die Zielfelder frei sein. Außerdem darf weder der beteiligte Turm noch der König in einem früheren Zug bewegt worden sein, und der König darf weder vor noch nach der Rochade bedroht sein und kein bedrohtes Feld überqueren.
Daraus ergeben sich die Folgerungen:
- Jeder Spieler kann höchstens einmal pro Spiel rochieren.
- Wenn die Eröffnungsposition des normalen Schachs ausgelost wird, so sind auch die normalen Rochaderegeln gültig. Die c-Rochade wird dabei zur langen und die g-Rochade zur kurzen Rochade.
- Durch die Rochade kann keine Figur geschlagen werden.
- In einigen Eröffnungspositionen kann man rochieren, obwohl Felder noch besetzt sind, die beim normalen Schach dafür frei sein müssen. Zum Beispiel können die Grundreihenfelder in der a- und der b-Linie bei der c-Rochade besetzt sein, wenn der beteiligte Turm auf der c-Linie steht. In obiger Beispielposition mit den Königen in der f- und Türmen in der g-Linie können die Parteien sogar schon in ihrem ersten Zug rochieren.
- Es kann vorkommen, dass nur der Turm oder nur der König bei der Rochade seine Position ändert. Dies tritt auf bei Ta1/b1 Kc1; Th1 Kg1 bzw. Ke/f/g1 Td1; Kb/c/d/e1 Tf1
- Es ist möglich, dass König und Turm bei der Rochade in die gleiche Richtung ziehen. Bei der c-Rochade tritt dies z. B. bei Kb1 Ta1 oder Kf1 Te1 auf.
Der Rochadevorgang
Beim Spiel mit einem menschlichen Gegner an einem physischen Brett wird durch die FIDE empfohlen, dass der König bei der Rochade erst außerhalb des Bretts neben sein zukünftiges Feld gestellt wird, dann der Turm auf seine Endposition gesetzt und abschließend der König auf seine Endposition gesetzt wird. Diese Regel ist leicht zu befolgen und zeigt den geplanten Zug unmissverständlich an.
Gerade bei Spielern, die wenig Erfahrung mit Chess960 haben, kann angebracht sein, eine Rochade anzukündigen, um Missverständnissen vorzubeugen.
Bei Spielen am Computer gegen ein Programm oder auf einem Schachserver ist normalerweise ein gesonderter Menüeintrag oder eine Schaltfläche für die kurze und lange Rochade vorhanden. Auch erkennen gute Schachprogramme bei einigen Zügen des Königs, dass nur eine Rochade gemeint sein kann, und komplettieren den Zug von sich aus. Es existieren verschiedene Ansätze, einem Programm über seine GUI eine Rochade eindeutig zu signalisieren. Zum Beispiel zieht der König auf ein mindestens zwei Schritte weit entferntes Rochadezielfeld oder aber ansonsten auf den beteiligten Turm, um somit Verwechslungen mit möglichen einfachen Königszügen zu vermeiden. Bei einigen Programmoberflächen ist auch die textuelle Eingabe der Rochade als "0-0" oder "0-0-0" möglich.
Falls elektronische Schachbretter, die anhand von Sensoren die Positionen der Figuren erkennen, verwendet werden, sollte man erst König und Turm vom Brett nehmen und sie anschließend auf ihre neuen Positionen stellen.
Mehrdeutigkeiten der Rochaderegeln
Viele Publikationen der Rochaderegeln scheinen unglücklicherweise mehrdeutig zu sein. Zum Beispiel schreiben die Erstpublikationen von Eric van Reem nicht ausdrücklich vor, dass die Felder zwischen dem König und seiner neuen Position frei sein müssen. 2003 befragte David A. Wheeler viele aktive Fischer-Random-Chess-Spieler, unter ihnen Eric van Reem, Hans-Walter Schmitt und R. Scharnagl. Alle waren sich einig, dass der König, mit Ausnahme des Feldes des rochierenden Turms, kein besetztes Feld queren dürfe.
Im klassischen Schach ist eine Rochade solange untersagt, wie eine dritte Figur zwischen den beteiligten Figuren (König und Turm) steht, was damit gleichbedeutend ist, dass eine dritte Figur zwischen Ausgangs- und Zielfeld oder auf dem Zielfeld einer der beteiligten Figuren steht. Daraus folgt, das bei der Rochade keine dritte Figur übersprungen oder geschlagen werden kann. Da das Chess960 eine Obermenge des herkömmlichen Schachspiels darstellen soll, müssen die Rochaderegeln so verallgemeinert werden, dass sie bei Auslosung der normalen Grundstellung auf die klassischen Regeln hinauslaufen. Dazu würde es genügen, z. B. für die g-Rochade zu bestimmen, dass die Zielfelder für Turm und König frei sein müssen. Der König dürfte dann Figuren in der c- bis e-Linie überspringen. Es erscheint den meisten jedoch logischer, die Regel beizubehalten, dass in keinem Fall eine dritte Figur übersprungen oder geschlagen werden darf.
Das Spiel
Die Eröffnungen von Chess960 sind noch nicht gut untersucht, aber es gibt auch hier einige fundamentale Grundregeln, unter anderem:
- Der König sollte geschützt werden.
- Die Kontrolle über die zentralen Felder bleibt wichtig.
- Die Figuren sollten wie im normalen Schach schnell entwickelt werden, wobei die Leichtfiguren (Läufer, Springer) Vorrang haben.
- In einigen Eröffnungspositionen gibt es ungeschützte Bauern, auf deren Schutz man besonders achten sollte und die sich als Angriffspunkte eignen.
Manche argumentieren, dass mit jeder Eröffnungsposition zwei Spiele mit Farbwechsel für die Spieler gemacht werden sollten, da einige Eröffnungspositionen für Weiß sehr vorteilhaft seien. Das Schachprogramm Stockfish beispielsweise bewertet die 960 Eröffnungsstellungen bei einer Suchtiefe von 39 Halbzügen mit Werten zwischen 0,0 und 0,57 Bauerneinheiten Vorteil für Weiß (Mittelwert 0,18), wobei die Eröffnungsposition des traditionellen Schachs mit 0,22 Bauerneinheiten Vorteil für Weiß gewertet wird.
Die Notation
Da die Eröffnungsposition in der Regel eine andere ist als im traditionellen Schach, muss sie in der Notation mit vermerkt werden. Die Rochade wird, wie im normalen Schach, als 0-0 bzw. 0-0-0 notiert.
Spiele, die mit Portable Game Notation (PGN) gespeichert werden, können die Eröffnungsposition mit Hilfe der Forsyth-Edwards-Notation (FEN) als Wert des "FEN"-Tags, festhalten. Rochaderechte in der FEN betreffen gewöhnlich den äußerst stehenden Turm einer betroffenen Seite. FEN ist dazu in der Lage, alle möglichen Eröffnungspositionen von Fischer-Random-Chess zu erfassen. Aber sie schafft es nicht, alle jene Positionen einer Partie zutreffend zu kodieren, bei denen zwei Türme auf einer Seite des Königs stehen, und eine Rochade speziell mit dem inneren Turm zulässig ist (während der äußere Turm im Partieverlauf auf sein entsprechendes Feld gezogen ist). Es wurde eine Modifikation von FEN (X-FEN) entwickelt, um dieses Problem zu lösen, indem nur in genau solchen Fällen der Spaltenbuchstabe (groß bei Weiß) das zugehörige traditionelle Symbol ("K", "k", "Q" oder "q") ersetzt. Diese abwärtskompatible Erweiterung führt dazu, dass die Darstellungen der 18 Startaufstellungen, bei denen König und Türme auf ihren traditionellen Positionen stehen, gleich bleiben.
Methoden zur Ermittlung der Startposition
Es gibt viele Methoden, die Eröffnungsstellung auszulosen. Bei großen Turnieren wird einfach mit einem Computer (oder Würfeln) eine Zufallszahl zwischen 1 und 960 ermittelt und daraus eine Stellung abgeleitet. Diese Startposition wird dann etwa für alle Teilnehmer sichtbar an eine Wand projiziert und damit bekanntgegeben.
Für einzelne Partien wurde auch bereits eine Schachuhr auf den Markt gebracht, die auf Knopfdruck eine zufällige Startposition für Chess960 anzeigt.
Mit einem Würfel
Ingo Althöfer schlug 1998 folgende Methode vor, um die Eröffnungsstellung mit nur einem Würfel auszuwürfeln:
- Der erste Wurf gibt das Feld für den schwarzfeldrigen Läufer von Weiß vor. Dabei werden die schwarzen Felder entsprechend der Augenzahl von links beginnend gezählt (a1, c1, e1, g1). Da die Würfe 5 und 6 keine Entsprechungen haben, werden sie wiederholt.
- In derselben Weise wird anschließend der weißfeldrige Läufer positioniert. Hierbei entsprechen die Felder b1, d1, f1, h1 den Würfen 1, 2, 3, 4.
- Der nächste Wurf gibt, wieder von links gezählt, die Position der Dame auf den verbliebenen freien Feldern an.
- Die nächsten Würfe positionieren die Springer auf den verbliebenen freien Feldern. Für den ersten Springer muss bei einer 6 erneut geworfen werden, für den zweiten bei 5 und 6.
- Zum Schluss wird ein weißer Turm auf das von links erste freie Feld gestellt, der König auf das zweite und ein Turm auf das verbliebene letzte Feld.
Mit dieser Methode lassen sich 960 verschiedene Eröffnungspositionen erzeugen, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftreten. Eine dieser Positionen (Stellung 518) ist die traditionelle Schacheröffnungsposition, welche so wie alle anderen Stellungen bespielt wird, freilich mit dem Unterschied, dass hier die Eröffnungstheorie seit ca. 400 Jahren erforscht wurde.
Nicht zufällige Aufstellungen
Die Eröffnungsposition muss nicht unbedingt zufällig sein. Es kann zum Beispiel für ein Turnier eine Aufstellung vorgegeben werden, oder die Spieler einigen sich auf eine Eröffnungsposition.
Edward Northam empfahl folgendes Vorgehen, um die Eröffnungsposition zufallsfrei zu erzeugen:
- Könige und Türme werden zunächst aussortiert.
- Die Spieler - Schwarz zuerst - nehmen abwechselnd nach Belieben eine ihrer Figuren und stellen sie auf einen freien Platz. Der Gegner stellt dann eine gleichartige Figur auf seiner Seite spiegelbildlich auf, bevor er an der Reihe ist, eine seiner Figuren frei zu platzieren. Dabei gilt wie üblich die Einschränkung, dass der zweite Läufer nicht auf derselben Feldfarbe aufgestellt werden darf wie der erste.
- Nachdem so die Damen, Läufer und Springer platziert worden sind, wird der König auf das mittlere der noch freien Felder gesetzt und die Türme auf die übrigen beiden.
Mit diesem Verfahren wird der Aufbau der Figuren zu einem Teil der Partie. Ein Vorläufer davon ist das Freischach, das von Erich Brunner 1921 entwickelt wurde.
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