Saitek D
Powerplay mit der 8-Bit-Keule
Das neue Maestro "D"-Programm im Test
(aus Computer Schach & Spiele / Heft 4 / August-September 1989)
(6 MHz Modul (D-Programm) Copyright Theodor Heinze)
Von der Firma Saitek kam in den letzten Jahren ein technischer Leckerbissen nach dem anderen auf den Markt. Gleichzeitig gab es aber erhebliche Probleme mit der Spielstärke. Nun scheint plötzlich der Durchbruch geglückt, wie Dirk Frickenschmidt feststellt.
Der erste Maestro machte seinerzeit noch eine ganz gute Figur: Er gehörte zu den besten 8-Bittern, und die 16-Bit-Geräte waren noch nicht allzu sehr verbreitet. Die B-Version jedoch rangierte nur noch im Mittelfeld der inzwischen immer populärer werdenden schwedischen Elo-Liste für Schachcomputer. Außerdem hatte sich unter Schach-Freaks die "Achillesferse" des Programms Königssicherheit und Königsangriff - herumgesprochen, so dass es nicht nur in Computerpartien zu häufig Opfer des eigenen "königlichen" Leichtsinns wurde, sondern auch auf menschlichen Turnieren gezielt durch Rochade-Angriffe um Punkte und Ansehen gebracht wurde. Bei Saitek suchte man nach einem schnellen Heilmittel gegen diese Schwächen und bereitete eine Version C vor.
Porsche mit Golf-Diesel-Motor?
Aber die dann erschienene C-Version vermied nicht nur unnötige Lockerungen, sondern auch jede andere Initiative, so nach dem Motto: je weniger ich mache, desto weniger Fehler können dabei passieren. Und so geschah das, was die Firma sicher nicht beabsichtigt hatte: Obwohl tatsächlich die Königssicherheit belegbar verbessert wurde, spielte das Programm wegen mangelnder Aktivität im Mittelspiel - besonders die Läufer übernahmen fast nur noch Deckungs- und Abtauschaufgaben schlechter als die Vorgängerversion.
Das machte sich sich weder gut in der schwedischen Rangliste noch in der Sympathiekurve derjenigen, die mit den technisch anspruchsvollen Geräten wie Galileo, Simultano oder sogar dem demnächst erscheinenden Rennaissance liebäugelten. Sie wollten es nicht riskieren, wegen der Spielstärke - im Vergleich zum Academy, Excel Mach IIc oder neuerdings sogar Sphinx Dominator - über die Schulter belächelt zu werden. Schließlich würde ja auch kaum jemand einen Porsche mit einem Golf Diesel-Motor akzeptieren, auch wenn er in erster Linie nur Stadtfahrten beabsichtigt.
Knackiges zu erschwinglichen Preisen!
Was die User wollen, das sind gute Programme und gute technische Ausstattung für jedermann, und das heißt: Knackiges zu erschwinglichen Preisen! "Wir machen Spitzentechnologie preiswert" oder so (schon mal irgendwo gehört?). Es geht um Kisten wie den Mephisto Academy, den Almeria II - hab' ich mich jetzt versprochen, meine natürlich den Roma II -, den Mach HI zum Mach Hc Preis (ach den gibt's auch noch gar nicht?), vielleicht trotz gewisser Mängel auch den dafür wirklich spottbilligen Sphinx Galaxy. Ja, wer käme noch in Frage? David Kittfinger bastelt an einem neuen Programm für Novag (bitte prestissimo basteln, Dave!), da ist also noch nichts greifbar.
Aber ist das dann schon alles? Beileibe nicht, denn jetzt stand (nicht betreten nach unten schauen) der Nachfolger vom Kasparov C-Programm zum Spielen und Testen bereit. Zwei neue Eproms aus der Entwicklungswerkstatt in Kalifornien kamen im normalen Briefumschlag, ein wenig durch Blasenplastik geschützt. Ein Dank an Saitek und Julio Kaplan für diese ungewöhnliche Dienstleistung.
Die Eproms mit dem D-Programm und einer umfangreichen Eröffnungsbibliothek waren schnell in einem 8-MHz Analyst-Modul neben dem Endgame-ROM II untergebracht, die Erwartungen zunächst noch eher gedämpft; aber immerhin hatte eine Zwischenversion im Thematest (CSS 1/89, S.28 ff) ja bereits gewisse Hoffnungen geweckt.
Nach den ersten Test-Tagen wollte ich zunächst meinen müden Tester-Augen nicht trauen: Ich hatte Partien gesehen, die unmöglich von diesem kleinen selektiven 8-Bitter stammen konnten. Nach einer technischen Überprüfung (nicht 20, sondern 8 MHz Taktfrequenz und keine eingebaute Standleitung zu Garrys Hauptquartier) machte das neue Modul die Runde unter einigen guten Freunden, die von Schach und/oder Schachcomputern etwas verstehen. Meinungen: zwischen "Gar nicht mal so übel" (ein ca. 2200 Elo-Schachcomputer-Verächter) bis "Meine Güte, wo kriegt man den?" (ein Schachcomputer-Freak und normaler Vereinsspieler, der vor allem "schönes" Schach sehen will).
Fragt man nach, so ergibt sich ungefähr folgendes Gesamturteil: Das Ding wird so positiv beurteilt, weil es beim Spielen entweder selbst Druck macht oder überraschend zu kontern versteht. Nichts mehr von "sich hinten reinstellen und abwarten". Nicht wenige Partien münden stattdessen in regelrechtes Powerplay! Das Programm entpuppt sich als gut verpackte (in Galileo- oder Renaissance-Pelz gehüllte) 8-Bit-Keule, die besonders auf arrogante Gewohnheits-Herabgucker ein wenig niederschmetternd wirken dürfte.
Aber wer traut schon menschlichen Urteilen? Also kam als nächstes die reine Computerschach-Phase. Zusammen mit einigen wenigen der besagten Schachcomputer-Freaks wurden Turnier-Wettkämpfe durchgeführt, die sich dann als so unterhaltsam herausstellten, dass jeder der Tester am Ende mehr Testpartien spielte als zunächst geplant.
Insgesamt ergab sich - zusammen mit den gegen Menschen gespielten Partien - so viel interessantes Material, dass ich das in zwei Teilen präsentieren muss. Nach einer Vorstellung der wichtigsten Programmeigenarten in diesem Heft folgen in der nächsten Nummer weitere Partiebeispiele. So kann sich jeder ein umfassendes Bild machen, und niemand muss sein Urteil aufgrund von drei Testpartien auf Stufe 3, gemixt mit einigen Eindrücken des Testers beim Betrachten des Gehäuses nebst Anmerkungen über die Schachwelt als solche, bilden.
Testphase I: Gegen Elo 1900er
Die erste Testphase sollte klären helfen, ob das D-Programm definitiv aus den C-Niederungen heraus ist. Gegner waren vier Programme um ca. 1900 schwedisches Ranglisten-Elo: Novag Super-Expert (mit 1871), Fidelity Excel 68000 (1898), Psion (1925) und der kesse Newcomer Sphinx Dominator (mit 1929). Die Ergebnisse:
Analyst D8 - Super Expert 15.5 - 4.5 Analyst D8 - Excel 68000 6.5 - 3.5 Analyst D8 - Psion (Atari) 6.0 - 4.0 Analyst D8 - Sphinx Dominator 7.0 - 3.0
Mir wäre es fast lieber gewesen, das neue Programm wäre nicht gleich ganz so deutlich geworden. Wer veröffentlicht schon gern so was, um sich nachher Dirk Saitek oder Jan Frickenschmidt oder Ossi Hongkong nennen zu lassen? Also vorbeugend an alle Misstrauischen: das Ergebnis dieser fünfzig Partien war zum Teil Zufall und statistisch noch nicht relevant, okay? Aber vielleicht gefällt das ein oder andere aus den Partien? Zum Beispiel gleich die erste:
In dieser Stellung deutete alles auf eine Partie nach klassischem Muster hin: Sizilianisch, Weiß hat den Königsflügel schon halboffen für schweres Geschütz und wird das Saitek-Programm (Königs-Unsicherheit) damit überrollen, mit einem schönen angekündigten Kittinger-Matt am Schluß. Novag ist programmiert, genau solche Stellungen zu verwerten. Aber es stößt auf unvermutet heftigen Widerstand
Dabei waren all diese Läuferzüge keineswegs Schnapszüge, sondern erledigten wichtige Aufgaben der Felderkontrolle in enger Zusammenarbeit mit den übrigen schwarzen Figuren. Dabei wurden ständig die weißen Angriffsversuche gestört: eine Art fore-checking wie man im Fußball sagen würde, also eine sehr aktive Art, sich bereits im Mittelfeld durch Gegenangriffe zu entlasten und nicht nur auf die Haltbarkeit der letzten Reihen zu vertrauen.
Mindestens genauso verblüffend war es, einige Runden später zu sehen, daß das D-Programm mühelos in der Lage zu sein schien, den Experten mit den eigenen Waffen zu schlagen und einen zwingenden Königsflügelangriff aufs Brett zauberte, wobei das Novag-Programm auch noch Humor genug zu haben schien, das Umkehr-Spiel mit einer für frühere Saitek-Versionen typischen (und nicht immer ganz glücklichen) Dame auf b6 mitzuspielen:
Dass diese Benoni-Stellung weiße Angriffsaussichten verrät, ist unschwer zu erkennen. Aber wird das Saitek-Programm auf dieser Spur bleiben und den Angriff forcieren können? 22.Dh5 Db5 23.Lxh6 Dxb2 24.Tabl Df6 25.Lxg7 Dxg7
In dieser Stellung muss Schwarz auf den Bauern b7 verzichten. Aber bestehen dann nicht vielleicht Chancen, sich herauszumogeln, wenn Weiß ein wenig patzt? Doch der Analyst D8 zeigte sich an dem Bauernhäppchen auf b7 nicht interessiert und machte konsequent auf dem angeknabberten Königsflügel weiter: 26.Sh4 Te5 27.Sf5 Txf5 (das erste Notopfer) 28.Txf5 Kf8 29.Tbf1 f6 30.Txf6+ Kg8 31.Tf7 Tf8 32.Txg7+ Kxg7 33.Dg5+ Kh7 34.Txf8 b5 35.Tf7+ Kh8 36.Dg7+ matt.
Alte und neue Schattenseiten
Nach diesen zwei wunderhübschen Partien soll aufkommende Euphorie gleich geerdet werden: Neben den überwiegend positiven Eindrücken (und erstklassigen Ergebnissen!) gab es auch Schattenseiten zu sehen, die nicht verschwiegen werden sollen.
Wie sich im Gesamtüberblick dieser ersten dreißig Turnierpartien zeigte (und in den weiteren Partien bestätigte), ist mit einigen alten Schwächen - Passivität der Läufer, allzu großem Leichtsinn bei der Königssicherheit, zu zurückhaltendem Spiel in der eigenen Bretthälfte - gründlich aufgeräumt worden. Dafür zeigte sich eine gravierende neue Schwäche: Viele gegnerische Punkte waren nämlich halbe Punkte, die das D-Programm aus überlegener Stellung heraus, zum Teil sogar bei drastischem Materialvorteil, verschenkte. Es ließ sich schlicht und einfach auf vermeidbare Stellungswiederholungen durch Dauerschach ein, die es anscheinend zu lange "über den Horizont schob", bis sich dann jeweils nichts mehr ändern ließ. Allein eine Ausbesserung dieser Schwäche würde dem Programm sicher nicht wenige zusätzliche halbe Punkte einbringen, die sich ganz schön aufsummieren könnten.
Krampfstellung
Der zweite Kritikpunkt betrifft einen ähnlichen Horizont-Effekt: Das Programm schiebt bei Bauern(rück)gewinnen manchmal so viele Zwischenzüge ein, dass schließlich eine Art "Krampfstellung" entsteht, in der dann plötzlich das Materi-al doch nicht mehr (zurück)gewonnen werden kann und zusätzliche positionelle Nachteile entstanden sind. Beide Probleme kamen - gemessen an der Gesamtzahl der Partien - nicht allzu häufig zum Tragen, aber sie kosteten, wie gesagt, unnötig (halbe) Punkte.
Taktisch ist das Programm zwar ein wenig schneller und damit schlagkräftiger geworden, aber hier hat sich nichts Grundlegendes geändert. Die wesentlichen Verbesserungen zeigten sich klar im positionellen Bereich, und hier besonders im Mittelspiel.
Die D-Version ist nicht plötzlich ein Wunderding geworden, das sämtliche bisher unerreichbaren Teststellungen knackt, es ist halt "nur" ein viel stärker spielendes Programm, eine Wettkampfmaschine, die wirklich "fighting chess" liefert. Wer ein Mattlöseprogramm sucht, sollte sich etwas anderes kaufen, und über Langzeitanalysen-Tauglichkeit kann der Tester (noch) nichts Definitives sagen. Aber wer an lebendigem, angriffs- und konterstarken Turnierschach interessiert ist (inklusive interessanter Verlustpartien), kommt hier sicher auf seine Kosten. Das zeigen auch die weiteren Wettkampfpartien:
Testphase II: Gegen "dicke Fische"
Nach den überzeugenden Ergebnissen gegen die normalen 8-Bit-Kollegen folgte nun der Härtetest gegen das bisher beste 8-Bit-Programm, den Mephisto Academy (1990 Listen-Elo) und die zwei stärksten 16-Bit-Programme, den Mach III 68000 (2067) und den Almeria 68000 (2085), gegen die dann auch die ersten Negativ-Bilanzen zu verzeichnen waren. Die Ergebnisse zeigen aber, dass das neue Programm auch hier keineswegs einbricht, sondern sich lediglich der stärkeren 16-Bit-Hardware geschlagen geben muss. Die Ergebnisse:
Analyst D8 - Mephisto Academy 6.5 - 3.5 Analyst D8 - Mach III 68000 4.0 - 6.0 Analyst D8 - Almeria 68000 3.5 - 6.5
Einige "Highlights" aus diesen Partien im Telegramm-Stil machen deutlich, wie sehr Julio Kaplans D-Version eben nicht nur mitspielt, sondern oft geradezu das Spiel prägt.
In diesem Endspiel bei materiellem Gleichstand sollte Schwarz trotz des Königs am Rande und der etwas schwächeren Bauernstruktur gute Remis-Aussichten haben. Aber einige schwarze Fehler genügten dem D-Programm zu einem Endspielsieg über das Hash-Table-Monster: 39.Ke3 Lf5 40.Lxf5+ Sxf5+ 41.Ke4 Kg6 42.Kd5 Kf7 43.Kc6 b5 44.Kb6 Ke6 45.Kxa6 Sd4 46.Sh2 b4 47.axb4 Sxb3 48.b5 Sd4 49.b6 f5 50.b7 Sc6 51.Sf3 f4 52.Kb6 Sb8 53.Kc7 Sa6+ 54.Kc8 Kd5 55.Sh4 Ke6 56.Sg6 Kf6 57.Sf8 Ke7 58.Sd7 e4 59.Sc5 e3 60.fxe3 fxe3 61.Sxa6 e2 62.b8D e1D 63.Db4+ Dxb4 64.Sxb4 Kd6 65.Sd3 Ke7 66.g4 Kf6 67.h4 Ke6 68.Kd8 Kf7 69.Kd7 Kf6 70.Kd6 Kf7 71.Ke5 Ke7 72.Kf5 Kf7 73.Se5+ Kg7 74.h5 Kh7 75.Kf6 Kg8 76.Kg6 1-0
In dieser Stellung aus einer Caro-Cann-Partie belehrte das Programm den taktisch sehr starken Mach III geradezu über die in dieser Stellung verborgenen Feinheiten und spielte: 24...Td2!! 25.Th4 Txd1+ 26.Sxd1 Tc8 27.c3 e5 28.Dg4 b5! 29.Th3 Td8 30.Ka1 Dd5 31.Th1 f5 32.Df3 Dd2 33.Dxf5 Dxd1 + 34.Txd1 Txd1+ 35.Db1 Txb1+ 36.Kxb1 e4! 37.b3 e3 38.fxe3 Sxe3 39.g3 Kf7 40.a4 bxa4 41.bxa4 Kf6 42.c4 Sxc4 0-1
Turnierbibliothek
Das folgende Beispiel macht noch auf einen Umstand der Testpartien aufmerksam, der als zusätzlicher Pluspunkt anzusehen ist: Die Tests wurden mit einer sehr großen aber völlig unspezialisierten Eröffnungsbibliothek gespielt, so dass alle möglichen Arten von Eröffnungssystemen vorkamen. Bei Saitek wird man in der kommerziellen Version zwar eine gewisse Spezialisierung vornehmen, aber die soll längst nicht so krass ausfallen wie bei der Academy-Turnierbibliothek, bei der aus Erfolgsgründen jede Vielfalt unter den Tisch fällt. Außerdem bleibt die Fülle der verschiedenen Eröffnungen weiterhin präsent und man kann manuell jederzeit eine Abzweigung in eine dieser Eröffnungen wählen (wie beim Academy, nur mit anscheinend erheblich größerer Auswahl).
Die folgende Partie zeigt den Analyst D8 in einer e4-Partie gegen eine Mephisto-Aljechin-Verteidigung. Diese Verteidigung wurde von den Münchnern bereits erfolgreich (sogar bei Mikro-WMs) eingesetzt. Auch in dieser Partie gewann der Almeria eine Qualität und einen Bauern, aber der Kasparov-Computer stand dann wesentlich aktiver:
Als gehörte dererlei zu seinen Leib- und Magen-Übungen, spielte der Analyst nun: 35.Dg3! Txb2 36.Lxg6 36.Lxg6! hxg6 37.Dxg6+ Kf8 38.Dd6+ Kg7 39.Sf5+ Kh8 40.Dh6+ Kg8 41.Dg6+ Kf8 42.Dd6+ Kf7 43.De7+ Kg6 44.Sh4+ Kh6 45.Sf5+ Kh5?? 46.g4+ Kg6 47.Sh4+ Kh6 48.g5+ Kh5 49.Dh7+ KxgS 50.Dg6+ Kxh4 51.Dg4+ matt.
Neues 10-MHz-Modul
Einige Tage vor Abschluss der Testpartien erreichte uns noch ein Knüller aus Hongkong. Den Saitek Kunden wird in diesem Jahr ein 10-MHz-Modul (Maestro oder Analyst) mit dem neuen Programm angeboten, dessen Geschwindigkeitssteigerung sicher die taktische Schlagkraft und Sicherheit gegen 16-Bit-Computer und starke menschliche Spieler weiter erhöht, auch wenn es ansonsten ohne große Unterschiede zu der 8-MHz-Version spielt. Hier aus einer Partie mit dem D10 gegen den guten alten MM IV:
Die Stellung sieht aus, als würde in den nächsten Zügen noch gar nichts passieren, aber nach dem unscheinbaren 18.Df3! wird Schwarz überfallartig mattgesetzt: 18...Se5!? (18...c6? 19.Lxc6 bxc6 20.Dxc6+ verliert sofort) 19.Lxb7+ Kb8 20.dxe5! Txd2 21.La6 c6 22.De3 Td7 23.Txb6+ axb6 24.Dxb6+ Ka8 25.Tb1 De7 26.Dxc6+ Ka7 27.Da4 Ka8 28.Lc4+ Ta7 29.Ld5+ Db7 30.Lxb7+ Kb8 31.Dd7 Ta4 32.Lc6+ Tb4 33.Txb4+ matt.
Auch die Verlustpartien des Programms (Beispiele im nächsten Heft) sind in der Regel nicht farblos oder fade. Es spielt sozusagen wie Boris Becker: meistens sehr druckvoll und mit guten Ergebnissen, wobei es anscheinend jedes Programm (auch den Almeria 68020!) schlagen kann. Dann wieder verpatzt es unnötig Partien, aber auch das macht es weitgehend selbst und überlässt dem Gegenüber lediglich das "Abstauben" des verschenkten Spiels, in dem in der Regel etwas zu viel riskiert wurde. Aber besser ein etwas riskant spielendes Programm als eine geduldige Punktesammelmaschine ohne Pep!
Kein Respekt vor dem Weltmeister
Dass gerade gegen besonders starke Gegner riskantes Spiel angesagt ist, ist eine Erfahrung aus dem menschlichen Schach, wo man mit "Mauern" selten gute Karten gegen den Besseren hat. Der Analyst D8 (also nicht einmal die schnellere Version) machte es in der folgenden Partie gegen den amtierenden Weltmeister richtig und spielte mit Mut zum Risiko:
Nach 28...Td6 scheint der weiße Angriff in eine Sackgasse geraten zu sein. In dieser Stellung folgte ein positionelles Springeropfer gegen zwei Bauern, das ahnen lässt, wieviel das Kasparov-Modul nun von Königssicherheit und Königsangriff versteht! Verblüffend, zu sehen, wie der Weltmeister Material abgrast, während der Analyst ein Mattnetz enger
zieht, das schließlich nur noch durch ein schwarzes Damenopfer gesprengt werden kann: 29.Sxg6 Txg6 30.Txg6 f4 31.Txh6+ Kxh6 32.Df3 Da5 33.Te5 Dxa2 34.h4 Lf6 35.Th5+ Kg7 36.Dg4+ Kf8 37.Dc8+ Td8 38.Df5 Da1+ 39.Kh2 Da6 40.Th8+ Ke7 41.Th7+ Kf8 42.Dg6 De6 43.Dh6+ Ke8 44.Tg7 Lxg7 45.Dxe6+ Kf8 46.Df5+ Kg8 47.Dxf4 Tf8 48. De3 Tf6 49.b3 Tb6 50.h5 a6 51.Dg5 Td6 52.De7 Tf6 53.Kg3 b5 54.Dd8+ Kf7 55.Dxd5+ Ke7 56.Db7+ Kf8 57.Dd7 Lh6 58.Dc8+ Kf7 59.Dc7+ Kf8 60.d5 Ke8 61.Kg4 Lf8 62.g3 Td6 63.Dh7 Th6 64.Da7 Td6 65.Dc7 Le7 66.Dc2 Kd8 67.Df5 Kc7 68.De4 Lf6 69.f3 Kd7 70.Dh7+ Kd8 71.Dg8+ Kc7 72.Df7+ Kb6 73.Kf5 Lb2 74.Ke4 La3 75.Ke5 a5 76.De8 Th6 77.Db8+ Ka6 78.Dc8+ Kb6 79.Dd8+ Ka6 80.g4 a4 81.Da8+ Kb6 82.bxa4 bxa4 83.Dxa4 1-0
Vorläufiges Fazit zum neuen Kasparov D-Programm der Firma Saitek (Hongkong)
Was weniger gefallen hat
- gelegentliche Anfälligkeit für Dauerschach
- zum Teil zu komplizierte Zwischenzüge bei Material(rück)gewinn
- insgesamt manchmal zu riskante Spielanlage (siehe aber dazu auch unten)
- immer noch gewisse Unterschätzung von vereinzelten und besonders gedeckten Freibauern (werden im Mittelspiel noch nicht als potentielle Gefahren erkannt)
Was gut oder sehr gut gefallen hat
- Ausmerzung vieler alter programmtypischer Schwächen (Spiel mit Läufern, Kooperation von Bauern und Figuren etc.)
- aktive Königssicherheit und Königsangriff (durch integrierte Gegenangriffe und "fore-checking")
- harmonisches Figurenspiel
- sehr unternehmerisches, risikofreudiges Mittelspielverhalten, oft mit überraschendem Verständnis für verborgene Feinheiten
- exzellente Angriffs- und Konter-Qualitäten bis hin zum durch Angriffe erspielten Matt.
- Positionelle Spielanlage einschließlich der Fähigkeit zu positionellen Opfern.
- aus menschlicher Sicht oft "schönes" Schach (kein Maschinen-Dschungelschach)
- 10-MHz-Modul wird voraussichtlich das erste 8Bit-Schachprogramm über 2000 Elo in der schwedischen Rangliste (Testereinschätzung: irgendwo zwischen Academy und Roma 68000)
Interview mit Julio Kaplan
Julio Kaplan, gebürtiger Argentinier, lebt seit seiner Kindheit in den Vereinigten Staaten. 1967 gewann er als 17jähriger die Jugendweltmeisterschaft (vor Timman und Hübner!). Aber statt eine Karriere als Schachprofi zu starten, studierte er Computerwissenschaften und gründete seine eigene Firma, "Heuristic Software", in Oakland, Kalifornien. Er begann sogleich, Schachprogramme zu entwickeln. Die ersten wurden in den Geräten von Milton Bradley eingesetzt, aber bald begann Julio, ausschließlich für die Firma Saitek zu programmieren. Während die meisten Konkurrenten BruteForce-Programme schrieben, waren seine immer mehr oder minder selektiv. Bislang waren sie taktisch recht anfällig und konnten an der Spitze nicht ganz mithalten.
CSS: Herr Kaplan, waren Sie sehr überrascht, als Ihre neue Programmversion plötzlich so stark spielte?
Kaplan: Um ehrlich zu sein, ja. Ich hatte schon früher mal den Eindruck, wir hätten große Fortschritte gemacht, aber es funktionierte dann doch oft nicht so, wie es sollte. Manches ging tatsächlich besser als vorher, aber dafür tauchten immer wieder an anderer Stelle Probleme auf.
CSS: Wie kam nun plötzlich der große Sprung?
Kaplan: Ich glaube es ist wichtig, dass man irgendwann einmal Gelegenheit findet, sich aus den ständigen Detailfragen zu lösen. Man muss einfach einen tüchtigen Schritt zurücktreten und sich das Ganze neu aus größerem Abstand ansehen. Man braucht einfach die Zeit und die Ruhe für einen neuen Gesamteindruck. Das kann, glaube ich, sehr wichtig sein. Nachdem die KaparovSchachcomputer in den letzten Jahren technisch immer besser ausgestattet worden sind, bekamen wir jetzt mehr Handlungsfreiheit für das eigentliche Programm, und ein Teil des Teams kann sich jetzt ganz der Spielstärke widmen. Als wir diese Atempause hatten und uns einen neuen Gesamteindruck verschaffen konnten, passierten die wesentlichen Verbesserungen dann überraschend schnell, und in ungefähr sechs Wochen hatten wir alle wichtigen Neuerungen eingebaut.
CSS: Eine der ausgeprägtesten Eigenschaften bei dem neuen Programm ist das sehr aktive und oft auch schön anzusehende Verhalten im Mittelspiel. Die vorigen Programmversionen haben eher abwartend taktiert. War diese Kursänderung beabsichtigt? Und welche Rolle spielt für Sie der Wunsch vieler Benutzer, nicht nur effektives, sondern möglichst auch dynamisches und schönes Schach zu sehen? Sind Stil und Ästhetik nicht heutzutage Nebensache, gemessen am Erfolg?
Kaplan: Dieser aktive Spielstil war schon beabsichtigt. Die älteren Versionen waren zu sehr auf Sicherheit und Vorsicht ausgelegt. Denn die Stärken unseres selektiven Programms sollten auch gegen aggressive menschliche Angriffsversuche und gegen taktisch starke Programme zur Geltung kommen, aber zuletzt fanden wir es einfach zu passiv. Vielleicht haben sich auch unbewusst meine eigenen Vorlieben am Ende durchgesetzt (lacht). Als ich noch aktiver Schachspieler war, gehörte ich zur sogenannten "Bronstein"-Schule, das heißt, ich hatte lieber einen Punkt weniger aus spannenden Auseinandersetzungen als einen Turniererfolg mit langweiligen Gewinnpartien. Noch heute erinnere ich mich viel lieber an Schönheitspreise als an Turniererfolge. Wenn man ein Programm verkaufen will, darf der Erfolg natürlich nicht aus dem Blick geraten, aber wenn er mit schönem und druckvollem Spiel erreicht werden kann, dann entspricht das genau meinen eigenen Vorstellungen von Schach.
CSS: Auch an guten Programmen gibt es immer noch eine Menge zu verbessern. Wenn Sie mit einem Fingerschnippen eine solche Verbesserung erreichen könnten, an was würden Sie als erstes denken?
Kaplan: Naja, abgesehen davon, dass ich das der Konkurrenz nicht unbedingt haarklein erzählen möchte (lacht) - also, als nächstes würde ich etwas ändern, das ohnehin demnächst in Angriff genommen wird: Ich würde dafür sorgen, daß Angriffe mit Bauern noch besser klappen.
CSS: Bleibt noch zu fragen: Wenn das D10-Programm nach den bisher vorliegenden Testergebnissen in der schwedischen Rangliste voraussichtlich irgendwo knapp über 2000 Elo auftauchen wird, also irgendwo zwischen Academy und Roma 16-Bit, dann ist das sicher imponierend für ein 8-BitProgramm. Ist damit aber nicht allmählich das Ende der Entwicklung auf dieser Hardware erreicht, oder sieht Ihr Team noch weitere Verstärkungsmöglichkeiten?
Kaplan: Ich bin zurzeit recht optimistisch, dass schon bald eine Reihe weiterer Verbesserungen auf der 8-Bit-Hardware möglich sind, vor allem weil sich ein Teil des Teams nun ausschließlich mit der Verbesserung der Spielstärke beschäftigen kann. Ich selbst habe den Kopf viel freier als in den ersten Jahren, als ich meine Firma gegründet hatte und es noch alles Mögliche andere außer Programmieren zu bedenken gab. Also, Verbesserungen sind bestimmt noch auf der 8-Bit-Hardware möglich, aber wer sagt, dass wir noch lange bei 8-Bit-Hardware bleiben? Unser Co-Prozessor-Betriebssystem arbeitet auch problemlos mit anderer Hardware zusammen.
(An dieser Stelle hätte der Interviewer gern gleich ein zweites Interview angeschlossen, aber Julio ließ sich keine weiteren Antworten über die reizvollen Alternativen der nächsten Jahre bei der Modul-Hardware mehr entlocken. Daher:)
CSS: Vielen Dank für das Gespräch.